Llibertat Presos Polítics      

Um jeden Preis

Dem Richter Pablo Llarena ist jedes Mittel recht, um Carles Puigdemont festnehmen zu lassen

5. Oktober 2021

Pablo Llarena ist als Untersuchungsrichter am Tribunal Supremo damit beauftragt, die im Exil lebenden Mitglieder der katalanischen Regierung von 2017 nach Spanien und vor ebendieses Gericht zu bringen. Das Mittel dazu ist der europäische Haftbefehl. Der Vorwurf ist der eines gewalttätigen Staatsstreichs, der Rebellion, sowie der Veruntreuung öffentlicher Gelder. Soweit so gut. Mit derart gravierenden Vorwürfen, sollte man die Beschuldigten doch ausgeliefert bekommen, dächte man.

Aber Llarena torkelt bislang von einer Ohrfeige zur nächsten:

  • Belgien war im Dezember 2017 kurz davor einer Auslieferung nur wegen Veruntreuung zuzustimmen, da ein zu Rebellion äquivalenter Straftatbestand dort nicht existiert. Daher zog Llarena sein Auslieferungsersuchen zurück, um einer (teilweisen) Ablehnung zuvorzukommen. Erst einmal ein eher technisches Problem.
  • Bei der Durchreise durch Deutschland wurde Carles Puigdemont 2018 erneut festgesetzt. Das OLG Schleswig-Holstein konnte im deutschen StGB zwar durchaus der Rebellion ähnliche Delikte sehen, sah die Beweislage für solche aber als viel zu dünn an und die Auslieferung daher als unzulässig.
  • Aus der Schweiz werden Marta Rovira und Anna Gabriel nicht ausgeliefert, da die Anklagepunkte als politische Vergehen angesehen werden.
  • Ein zweiter Versuch in Belgien scheiterte verheerend: das Gericht stellt fest, dass das Tribunal Supremo gar nicht das zuständige Gericht für die Vorwürfe ist. Es hatte den Fall in einer auch in Spanien umstrittenen Art und Weise an sich gezogen.
Aus diesem Grund und da spanische Abgeordnete während des eigentlich geheimen Verfahrens fleißig Interviews mit Details gegeben hatten, konnten dazu noch Clara Ponsatí, Carles Puigdemont und Tino Comin die Aufhebung ihrer Immunität vor dem EUGH anfechten. In einem letzten Versuch, das Blatt zu wenden, wandte sich daraufhin auch Llarena an den EUGH, um überprüfen zu lassen, ob die genannten Gerichte seine Auslieferungsgesuche korrekt behandelt hatten. Natürlich hatte er sich das alles ganz anders vorgestellt.

Haftbefehle ausgesetzt oder nicht?

Eine solche Frage sollte eigentlich die Haftbefehle vorübergehend außer Kraft setzen. Wenn nicht klar ist, wie mit ihnen umzugehen ist, sollte diese Klärung abgewartet werden. Diese Sichtweise vertrat auch Spanien vor dem EUGH, der daraufhin davon absah, den Abgeordneten ihre Immunität vorsichtshalber zurückzugeben, da scheinbar keine Gefahr einer Verhaftung bestand:
Doch wer sich in diesen Dingen auf Spanien verlässt, der ist verlassen. Pablo Llarena scherte sich nicht im Geringsten um die Zusicherungen seines Landes und erhielt den Haftbefehl aufrecht.

So kam es dazu, dass Carles Puigdemont bei der Einreise nach Sardinien von der italienischen Grenzpolizei verhaftet wurde. Offenbar hatten die spanischen Behörden sie dazu bereits vorab aufgefordert, da extra Spezialkräfte aus Rom vor Ort waren. Dass der Haftbefehl noch aktiviert war, war also keineswegs nur ein Versäumnis. Das stellte auch Llarena schnell klar, der sofort das sardische Gericht mit Informationen belieferte.

Vertagung in Sassari

So sah sich die zuständige Richterin mit einer äußert komplexen Gemengelage konfrontiert. Sie entließ Puigdemont erst einmal ohne Auflagen aus der Haft, da er bislang überall vorbildlich mit der Justiz kooperiert hatte. Am 4. Oktober kam es zu einer erneuten Anhörung. Alle Beteiligten waren der einhelligen Meinung, dass ein Auslieferungsverfahren unter den gegebenen Umständen nicht korrekt wäre. Dementsprechend wurde alles vertagt, bis irgendwann eine Entscheidung des EUGH vorliegen wird.

Llarena findet keine Ruhe

Doch Llarena in seinem Furor war natürlich nicht in der Lage, sich das alles in Ruhe aus der Ferne anzusehen. Noch dazu entschieden sich Clara Ponsatí und Toni Comin, Carles Puigdemont nach Sardinien zu begleiten. Vorsichtshalber gaben die italienischen Behörden Spanien schon vorab Bescheid, dass sie weder Ponsatí noch Comin verhaften würden. Doch Llarena war sich nicht zu schade, sich trotzdem beim sardischen Gericht zu melden, und es daran zu erinnern, dass seiner Meinung nach der Haftbefehl gegen beide in Kraft war. Er bekam keine Antwort. So beschädigt ist sein Ansehen international bereits.

Warum tut dieser Richter sich das an? Warum fleht er immer wieder ausländische Gerichte verzweifelt an, ihm doch zumindest ein bisschen Recht zu geben? Die Antwort darauf liegt wohl im Trophäenstatus Carles Puigdemonts für die nationalistische Rechte in Spanien begründet. Sollte es Llarena doch irgendwann gelingen, Puigdemont vor das Tribunal Supremo zu bringen, wäre er für viele ein Nationalheld. Ohne Zweifel würde er mit mehreren Orden behängt. Alle Erniedrigungen wären vergessen. Doch ob dieser Tag kommen wird ist ungewiss. Der Schaden für das Ansehen Spanien ist hingegen bereits gewiss, wenn seine Aussagen vor dem EUGH so wenig wert sind.

Anklagen à la carte

Der Richter García-Castellón versucht die Regierungsbildung zu sabotieren

7. November 2023

Am 14. Oktober 2019 verkündete das Tribunal Supremo das Urteil, in dem neun Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung zu Haftstrafen zwischen neun und vierzehn Jahren verurteilt wurden. Fast unmittelbar im Anschluss kam es zu ersten Protesten, die schnell anschwollen und während eines Monats immer wieder auch zu schweren Zusammenstössen mit der Polizei führten. Die Koordination der verschiedenen Porteste hatte eine Gruppe mit dem Namen Tsunami Democràtic inne. Schon am 23. Oktober schrieb die Guardia Civil an Github, dass die Audiencia Nacional die Bewegung als terroristisch einstufe, und verlangte daher, den Download einer App des Tsunami unmöglich zu machen.

Seit vier Jahren läuft an der Audiencia also ein Ermittlungsverfahren. bild Der zuständige Richter ist Manuel García-Castellón. Er will offensichtlich den Fall unter keinen Umständen aus der Hand geben. Genau dies drohte nämlich in diesem Jahr: die Audiencia Nacional ist nur bei bestimmten, schweren Delikten die erste Instanz. Normalerweise wird zuerst von einem lokalen oder regionalen Gericht ermittelt und gegebenenfalls verhandelt. Nun kam die Staatsanwaltschaft zu der Auffassung, dass es sich bei der Organisation der Proteste wohl nicht um terroristische Akte gehandelt habe. Eine Auffassung, die im Übrigen auch die Schweiz und die USA teilen, weswegen sie Rechtshilfeersuchen von García-Castellón abgelehnt oder als unzureichend eingestuft haben. Ohne diese schwere Anklage hätte nun die Audiencia das Verfahren an ein regionales Gericht in Katalonien abgeben müssen.

Ein Pakt des Richters mit den Rechtsradikalen

Dies wollte García-Castellón offenbar unbedingt verhindern und griff zu einem Trick. Plötzlich wollten die rechtsradikale Partei VOX sowie die ideologisch ähnlich gelagerte Organisation Dignidad y Justicia als Nebenkläger auftreten. Und natürlich sicherten sie zu, die Anklage des Terrorismus unter allen Umständen aufrecht zu erhalten. Mit offenen Armen ließ García-Castellón diese neuen Prozessparteien zu, die ihm ermöglichten, weiterhin die Kontrolle über das Verfahren zu behalten. Dass die Anklage eher auf der Ideologie der Nebenkläger als auf der Beweislage beruhte, machte dem Richter offenbar wenig aus.

Warum auch? Seine eigene Ideologie sieht ja recht ähnlich aus, und einmal mehr ist das Wichtigste in einem Verfahren nicht die Wahrheitsfindung und Gerechtigkeit, sondern die Rache an ideologischen Gegnern. Wenn das nach diesem ersten Manöver noch nicht offensichtlich war, so hat García-Castellón nun, während der Verhandlungen zwischen der PSOE und den katalanischen Parteien über eine Amnestie in Verbindung mit der Regierungsbildung in Spanien, alle Scham abgelegt. Mit mehreren schnellen Manövern, die ihm das Verfahren gegen den Tsunami ermöglicht, versucht er eine Einigung zu sabotieren.

Amnestie für Aufständische?
Dann sind es eben Terroristen!

Die Schlüsselfigur bei den Verhandlungen zur Regierungsbildung ist Carles Puigmenont. Mit allen anderen Parteien, deren Stimmen notwedig sind, hat die PSOE bereits Einigung erzielt. Mit Puigdemont hingegen wollte sie am liebsten gar nicht direkt verhandeln, da er in rechtsnationalen Kreisen und darüber hinaus nach wie vor als Staatsfeind Nummer eins angesehen wird. Zudem ist er per Haftbefehl gesucht und lebt im Exil in Belgien. Dieser Haftbefehl betrifft die Ereignisse um das Unabhängigkeitsreferendum von 2017, und die Hauptanklage ist die des Aufstandes. Dieses Delikt in eine Amnestie aufzunehmen, ist eine Grundbedingung, die beide katalanischen Parteien verlangen, damit sie den spanischen Regierungspräsidenten Sánchez von der PSOE wählen.

Gerade wurden erste vermeintliche Entwürfe für ein Amnestiegesetz öffentlich, das eben die Anklagen wegen Aufstandes umfasst, da wurde García-Castellón umgehend aktiv. Er zauberte einen Bericht de Guardia Civil hervor, der Marta Rovira und Carles Puigdemont mit dem Tsunami in Verbindung brachte. Trotz sehr dünner Beweislage nahm er sie jetzt, vier Jahre nach Aufnahme der Ermittlungen, in die Liste der Angeklagten auf. Sie wären nun durch die Amnestie nicht mehr gänzlich frei, da Anklagen wegen Terrorismus ja nicht mit eingeschlossen sind. Dass davon gleich beide katalanischen Parteien betroffen sind, da Rovira von der ERC und Puigdemont von Junts ist, unterminiert die Einigung mit der PSOE besonders gründlich.

Amnestie für Terroristen?
Dann sind es eben Mörder!

Nun sind die politischen Verhandler natürlich auch nicht faul, und haben schnell einen Kompromiss gefunden, der Garcia-Castellons Manöver kontert. Des Terrorismus Anheklagte allgemein mit zu amnestieren wäre der PSOE zu weit gegangen. Aber ihnen ist natürlich auch klar, dass der vermeintliche Terrorismus hier im Wesentlichen in der Organisation von Protesten bestand. Also einigte man sich, auch solche Fälle aufzunehmen, bei denen es keine Toten gegeben hatte, dies quasi als Kriterium, um zwischen echtem Terrorismus und solchem, den sich die rechtsnationale spanische Justiz lediglich ausdenkt, zu unterscheiden.

Das war eine Herausforderung für Garcia-Castellon, intensiv begannen seine grauen Zellen zu arbeiten. Und ja, hatte er da nicht irgendwann etwas in der Zeitung gelesen? Klar, während der Tsunami Proteste am Flughafen in Barcelona war doch ein französicher Turist an einem Herzinfarkt gestorben! Und manche hatten behauptet, wegen der Proteste habe kein Krankenwagen ihn rechtzeitig erreichen können. Na, dann nehmen wir doch überraschend diesen Tod nach vier Jahren mit in die Ermittlungen auf, und klagen wegen Terrorismus mit Todesfolge an! Zufällig sabotiert dies erneut die gerade ausgehandelte Fassung der Amnestie.

Abgesehen von der Spontanität, ist diese Wendung auch sonst sehr fragwürdig. Schon beim Auftreten der Berichte über den Tod wurde schnell klargestellt, dass die Proteste des Tsunami in keiner Weise die Rettung behindert hatten. Im Gegenteil. Wegen der Kundgebung waren zahlreiche zusätzliche Rettungwagen vorsorglich vor Ort, und einer von diesen hatte auch versucht, dem Mann zu helfen. Darum hatte schon 2019 die französische Botschaft offiziell festgestellt, dass keine Verbindung zwischen dem Tod und den Protesten bestand.

Überstürztes Handeln ohne Sorgfalt

Ob diese schnellen Manöver Garcia-Castellons die Regierungbildung entscheidend behindern werden, wird sich zeigen. Nun werden sie ihn selbst erst einmal in seinem Alltag behindern. In der Eile, hat er nämlich ein paar Dinge übersehen, die jedoch der stets aufmerksame Anwalt Gonzalo Boye gleich bemerkt hat. Sollte der tote Franzose als Opfer des Terrorismus eingestuft werden, verlangt das Recht der EU, dass dessen Heimatland umgehend darüber informiert und auf dem Laufenden gehalten wird. Ob und in welcher Form dies in den vergangenen vier Jahren geschehen ist, verlangt Boye nun vom Richter zu wissen. Der dürfte also jetzt erst einmal damit beschäftigt sein, sich aus dieser Situation herauszureden, bevor er sich weiter der Sabotage der Regierungsbildung widmen kann.

Eine objektiv identifizierbare Personengruppe

1. Februar 2023

Mit grosser Vorsicht hatte Pablo Llarena, der Untersuchungsrichter im Verfahren gegen die katalanische Regierung von 2017, seine sieben Fragen en den Europäischen Gerichtshof (EuGH) formuliert. Die Antworten dieses Gerichts für Grundsatzfragen können nämlich über die konkrete Frage hinausgehen und die Rechtsauslegung weitergehend klären. Aber Llarena wollte im Wesentlichen nur zwei ganz konkrete Dinge hören:

  • Dass das belgische Gericht, welches die Auslieferung von Lluís Puig abgelehnt hatte, dies eigentlich nicht hätte tun dürfen. Der angegebene Grund, dass nämlich das Tribunal Supremo in Spanien gar nicht das zuständige Gericht sei, ist kein Ablehnungsgrund für ein Auslieferung nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren.
  • Dass er neue Europäische Haftbefehle ausstellen darf, nachdem sein erster (unrechtmässig) abgelehnt wurde.
In beiden Fällen hat Llarena nun die Antwort bekommen, die er wollte. Die spanische Presse feiert einen Sieg des Untersuchungsrichters, sogar die FAZ sieht einen Etappensieg.

Allerdings hat sich der EuGH in seinem Urteil trotz aller Vorsicht Llarenas wesentlich ausführlicher geäußert und zu weitergehenden Aspekten Stellung genommen. Und wie der Anwalt Gonzalo Boye richtig anmerkt, es lohnt sich das gesamte Urteil zu lesen, bevor man einen Sieg feiert.

Dann ergibt sich nämlich ein ganz anderes Bild. Bei einem weiteren Auslieferungsgesuch könnte das belgische Gericht wohl wieder genauso entscheiden. Wie kann das sein?

Wahrung der Grundrechte vs. gegenseitiges Vertrauen

Schnell und eindeutig beantwortet das Urteil des EuGH, dass es nicht Sache des Gerichts im Vollstreckungsland ist, zu prüfen, ob der Haftbefehl von einer tatsächlich zuständigen Stelle ausgestellt wurde. In deutlich mehr Breite wird dann jedoch erörtert, unter welchen Bedingungen ein Auslieferung eben doch abgelehnt werden könnte und zwar unter Berufung auf das Grundrecht auf ein unparteiisches Gericht und den bereits erwähnten Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren. Letzterer gesteht in Art. 1, Abs. 3 dem Vollstreckungsland eine Ablehnung zu, wenn es Grundrechte des Auszuliefernden bedroht sieht. Wenn dann, wie in Absatz 100 des Urteils massgeschneidert auf den Fall des Tribunal Supremo festgestellt wird:

Insbesondere kann ein nationaler Oberster Gerichtshof, der in erster und letzter Instanz in einem Strafverfahren entscheidet, ohne über eine ausdrückliche Rechtsgrundlage zu verfügen, die ihm die Zuständigkeit verleiht, über sämtliche Angeklagte zu urteilen, nicht als ein auf Gesetz beruhendes Gericht angesehen werden,
dann kann das als eine Verletzung des Grundrechts auf ein unparteiisches Gericht angesehen werden. Dafür galten bislang jedoch hohe Hürden, da darüberhinaus "systemische oder allgemeine Mängel" im Justizsystem des Austellungslandes festgestellt und durch "objektive, zuverlässige, genaue und gebührend aktualisierte Angaben" belegt werden mussten. Ohne ein solche Feststellung war bislang nach dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens absolut davon auszugehen, dass im anderen Land alle Verfahren rechtsgemäss ablaufen.

Statt allgemeiner Mängel nur noch solche bezüglich der Behandlung einer Gruppe

Hier weicht der EuGH diese Kriterien im Folgenden auf. Die Mängel müssen nicht mehr zwingend allgemein sein, sondern es ist ausreichend, wenn sie im Zusammenhang mit einer "objektiv identifizierbaren Gruppe von Personen" auftreten. Eine solche Gruppe stellt ohne Zweifel die Unabhängigkeitsbewegung dar. Und Dokumente, die auf eine unrechtmässige Verfolgung dieser Gruppe in Spanien hindeuten gibt es etliche, so etwa vom Europarat oder der UN-Arbeitsgruppe zu willkürlichen Verhaftungen, die der EuGH in Ziffer 124 als mögliche Quellen für "objektive, zuverlässige, genaue Angaben" explizit anführt. Nun muss man nicht gleich wie Josep Costa einen 9:0 Sieg konstatieren

aber schmecken dürfte Llarena das Urteil deutlich weniger als die Schlagzeilen der Madrider Presse suggerieren.

Spanien macht alles richtig -- oder etwa doch nicht?

Wie das spanische Außenministerium harsche Kritik des Europarates ins Spanische übersetzt

4. Juni 2021

"Der Europarat heißt den Umgang Spaniens mit den Politikern der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung gut." Dies ist der Titel einer aktuellen Pressemitteilung des spanischen Außenministeriums zum Bericht des Kommitees für Rechts- und Grundrechtsfragen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Das Thema des Berichts ist, ob Politiker für Äußerungen, die sie im Amt getätigt haben, strafrechtlich verfolgt werden sollten.

Untersucht wurde diese Frage anhand der Fälle von Spanien und der Türkei. Wer sich den Bericht dann tatsächlich durchliest, wird aus dem Staunen nicht mehr herauskommen, wenn er zunächst die Einschätzung des Außenministeriums gehört hat. Denn dort werden in Abschnitt 9.3 die spanischen Behörden aufgefordert
  • die katalanischen Politiker zu begnadigen oder sonstwie freizulassen und die Verfolgung der im Ausland Lebenden einzustellen,
  • die Strafverfolgung niederrangiger Politiker einzustellen und auch aktuelle Politiker nicht weiter wegen Solidaritätskundgebungen zu verfolgen,
  • sicherzustellen, dass der Missbrauch öffentlicher Gelder nur dann festgestellt werden kann, wenn tatsächlich Gelder ausgegeben wurden,
  • aufzuhören, von den Gefangenen ein Ablassen von ihren Überzeugungen zu fordern, bevor man Hafterleichterungen zugesteht.
In der getwitterten Kurzfassung sieht das dann also gänzlich anders aus als im Résumé des Außenministeriums:

Kritik am Prozess

Gnadenlos deckt der Bericht die Widersprüche und antidemokratischen Argumentationen aus dem Prozess und Urteil gegen die Führung der katalanischen Unabhängigkeitsbewegug auf. Das beginnt mit der "Gewalt ohne Gewalt," die sich die Staatsanwaltschaft ausdachte, um wegen Aufruhrs anklagen zu können; nach dieser Doktrin ist jede genügend große Demonstration Gewalt, da sie allein durch ihre Größe andere einschüchtert. Und es geht bis zu der Tatsache dass im Urteil nur Belege dafür zusammengetragen sind, dass die katalanischen Politiker zu Gewaltfreiheit aufriefen und die Proteste auch weitestgehend gewaltfrei blieben, während die Verurteilung dann aber ohne faktsicheGrundlage wegen Aufruhr erfolgte.

Gut heißen oder nicht?

Wie kommt also das Außenministerium zu seiner Sicht der Dinge? Liest man sich die Pressemitteilung in Gänze durch, dann geht es dort vor allem darum, dass der Europarat Spanien bescheinigt, eine lebendige Demokratie zu sein, dass er die Unabhängigkeit der spanischen Gerichte respektiert und dass das Unabhängigkeitsreferendum verboten war; Dinge die im Vorgeplänkel eines solchen Berichts gewöhnlich stehen. Im vorletzten Absatz wird dann erwähnt, dass der Bericht nach Meinung der spanischen Regierung von einer falschen Grundannahme ausgeht, dass nämlich die katalanischen Politiker wegen ihrer Ansichten verurteilt wurden. Was an der sehr ausführlichen Begründung dieser Grundannahme falsch sein soll, wird nicht dargelegt. Ganz am Ende wird dann noch in einem Absatz oberflächlich auf die Forderungen des Europarats an Spanien eingegangen, die aber natürlich von einer falschen Grundannahme ausgehend haltlos seien und eine Rüge durch die spanische Regierung verdienten.

Wie kann es dann zu der Überschrift der Mittelung und dem Text auf Twitter kommen? Das dürfte auf immer ein Geheimnis des spanischen Außenministeriums bleiben.

Kosten übernehmen oder einfach vermeiden?

Besonders problematisch ist dies im Kontext der anstehenden Entscheidung über die Begnadigung der katalanischen Politiker. Diese hat in der spanischen Öffentlichkeit keine Mehrheit. Trotzdem beabsichtigt Pedro Sanchez, sie durchzuziehen und heldenhaft die "politischen Kosten zu übernehmen." Dies wird nicht ohne Konflikte auch in der Gesellschaft abgehen. Die rechtnationalistische Allianz aus PP, VOX und Cs sammelt schon eifrig Unterschriften und Munition.

Nun kann man es dem durchschnittlich informierten Spanier leider gar nicht übelnehmen, wenn er gegen die Begnadigungen ist. Wenn sogar die Regierung jede Kritik am Vorgehen gegen die politischen Gefangenen wie hier wegbügelt und kleinredet, dann ist so eine Begnadigung schwerer zu begründen. Würde man die harsche Kritik vieler sehr respektabler Organisationen wie Europarat, UN und Amnesty International auch öffentlich ernst nehmen, dann wäre diese auch dem Volk eingängiger. Und die enormen politischen Kosten einer Begnadigung wären viel geringer, vielleicht würde man sogar dafür belohnt. Aber dazu wäre erst einmal sehr viel Ehrlichkeit notwendig.

Was kümmert eine Richterin das Gesetz?

17. Mai 2021

Parlamentsabgeordnete stehen in den meisten Ländern unter einem besonderen Schutz. Sie dürfen unter normalen Umständen nicht verhaftet werden. Ein solcher Schutz besteht auch in Spanien und damit seit den letzten Wahlen in Katalonien für die Abgeordnete der CUP aus Tarragona, Laia Estrada. Soweit so klar; oder auch nicht. Denn nun hat das Amtsgericht Tarragona Haftbefehl gegen Laia Estrada erlassen. Dabei war der Richterin wohlbekannt, dass Estrada Abgeordnete ist.

Wie kann das sein? Und worum geht es überhaupt? Der unmittelbare Anlass für den Haftbefehl ist, dass Estrada zweimal nicht zu Vorladungen erschienen ist. Sie sollte verhört werden, da ihr vorgeworfen wird, bei Protesten im Dezember 2018 an gewalttätigen Ausschreitungen beteiligt gewesen zu sein. Dieses Verfahren reiht sich ein in eine lange Liste von derartigen Verfahren gegen Vertreter der CUP. Diese sind in der Tat oft bei Demonstrationen zugegen. Auffällig oft werden sie dabei von Polizisten, die ihre Gesichter sicher aus den Medien kennen, als Verantwortliche von Übergriffen identifiziert. Ohne Bildmaterial oder andere handfeste Beweise. Darum erscheinen CUP-Vertreter inzwischen systematisch nicht mehr zu Vernehmungen bei derartigen Anklagen. Dies resultiert immer wieder in Haftbefehlen, mit deren Hilfe sie zum Aussagen gezwungen werden sollen.

Haltlose Vorwürfe

Nach der Intervention der Parlamentspräsidentin Laura Borràs wurde der Haftbefehl im Fall von Laia Estrada vom nächsthöheren Gericht, dem Tribunal Superior de Justícia de Catalunya (TSJC), umgehend aufgehoben. So wurde immerhin die tatsächliche Verhaftung einer durch Immunität geschützten Parlamentarierin verhindert. Doch wie konnte es überhaupt zu dem Haftbefehl kommen? Das TSJC hatte sich ja schon einmal geäußert, nachdem sich die Richterin aus Tarragona an dieses Gericht gewendet hatte, da es für Verfahren gegen durch Immunität Geschützte zuständig ist.

Dabei weigerte sich das TSJC die Untersuchungen weiterzuführen, da es die Beweislage als "vollkommen unzureichend" für die Eröffnung eines Verfahrens einschätzte, Es bemängelte, es gebe "keine klaren Hinweise auf ein kriminelles Verhalten der Frau Estrada." Die Untersuchungsergebnisse bezeichnet es als "praktisch inexistent mit Bezug auf die Angeklagte." Also weigerte sich das TSJC diese Untersuchung fortzuführen und verwies sie mit dieser Ohrfeige zurück nach Tarragona mit der Bitte, die Vorwürfe konkret zu machen und zu belegen. Das wäre die Chance für das Amtsgericht gewesen, das Verfahren einzustellen. Stattdessen ist die zuständige Richterin offenbar außer Rand und Band geraten, und hat der Unterdrückung der Unabhängigkeitsbewegung durch eine zügellose Justiz ein weiteres Kapitel hinzugefügt.

Warum muss Pablo Hasél ins Gefängnis?

19. Februar 2020

Wer rechtskräftig verurteilt ist, der kommt irgendwann ins Gefängnis. Darüber herrscht sicherlich weitgehend Konsens. Warum kommt es also in Spanien nach der Verhaftung des Rappers Pablo Hasél zu schweren Unruhen? Warum unterzeichnen mehr als 200 Künstler ein Manifest gegen seine Inhaftierung? Wollen die alle den Rechtsstaat abschaffen?

Nein, das wollen sie natürlich nicht. Sie sind einfach ein bisschen zu spät dran. Der eigentliche Anlass für die Proteste ist nämlich nicht, dass Hasél jetzt ins Gefängnis muss. Die Proteste richten sich vielmehr dagegen, dass er überhaupt verurteilt wurde, auch wenn dies schon etliche Monate zurückliegt. Aber die tatsächliche Einweisung ins Gefängnis stösst hier auf wesentlich größere Aufmerksamkeit als die Verurteilung.

Beleidigungen und der Aufruf zu Gewalt, gar eine "Verherrlichung des Terrorismus" sind strafbar. Das ist auch in Deutschland so, eine Verurteilung deswegen könnte alleine noch keine solchen Proteste auslösen. Aber die erste Frage ist: hat Pablo Hasél diese Dinge überhaupt getan? Auch wenn er deswegen letzendlich verurteilt wurde, waren zwei der fünf Richter in der Berufungsinstanz der Meinung: Nein! Sie forderten einen Freispruch, sahen all seine Äußerungen durch die Meinungsfreiheit gedeckt und verfassten eine klares Minderheitenvotum, in dem sie Ihren Standpunkt darlegen. Entscheidende Passagen davon sind zusammen mit Passagen des Urteils im Internet nachzulesen. "Aber keiner [der Tweets und Liedtexte] belegt mit der notwendigen Klarheit und Intesität den verherrlichenden Charakter bezüglich der gewalttätigen Aktionen und noch weniger eine Einladung zu deren Nachahmung," urteilen die Richter.

Wer sich das "Beweismaterial" ansieht, kann eigentlich nur zu demselben Schluß kommen. Warum kam es dann zu einer Verurteilung zu zwei Jahren Haft in der ersten Instanz und immerhin zu 9 Monaten in der zweiten?

Die rechtsnationale Richterphalanx

Die erste Anomalie des Verfahrens ist, dass Hasél nicht vor einem normalen Gericht angeklagt wurde, sondern vor der Audiencia Nacional. Dies ist ein Sondergerichtshof für Fälle von schwerer Korruption und von Terrorismus. Da diese nicht nur tatsächlichen Terrorismus, sondern auch dessen Verherrlichung an sich zieht, stand Hasél vor einem Senat unter Führung von Concepción Espejel Jorquera. Schon in anderen Fällen hat diese die Verherrlichung des Terrorismus weit ausgelegt: Jugendliche aus Altsasu hat sie für bis zu neun Jahre wegen einer Wirtshausschlägerei weggesperrt. Auch für die Verurteilung des im belgischen Exil lebenden Rappers Valtonyc war sie federführend verantwortlich. Wenn sie keine echten ETA-Terroristen mehr fangen kann, dann erfindet sie sich eben welche...

Dass die Berufung vor dem Tribunal Supremo zu keiner Aufhebung des Urteils führte, überrascht nicht. Nach Aussagen der rechtnationlistischen PP kontrolliert diese dort den Strafsenat durch die Hintertür. Überraschend ist da eher, dass sich zwei aufrechte Richter zu einem so klaren Minderheitenvotum durchringen konnten.

Vielleicht wird der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg auch dieses Urteil kassieren, wie andere zuvor. Aber bis dahin wird Pablo Hasél seine Haft schon abgesessen haben.

Und wenn es Söder getroffen hätte?

29. September 2020

Gestern hat der Oberste Gerichtshof in Madrid die Revision Quim Torras gegen eine Entscheidung des Zentralen Wahlvortstandes und ein Urteil des Obersten Katalanischen Gerichtshofes abgelehnt. Damit ist der Präsident Kataloniens faktisch seines Amtes enthoben. Weil er ein Plakat an seinem Amtssitz aufgehängt hatte. Ist etwas Ähnliches in Deutschland vorstellbar? Versuchen wir ein Gedankenspiel, um uns einer Antwort auf diese Frage anzunähern.

Ein Gedankenspiel

Gehen wir zurück ins Jahr 2015. Deutschland hat zahlrreiche Flüchtlinge aufgenommen. Nach der Anfangseuphorie werden immer mehr besorgte und auch empörte Stimmen laut. Die CSU fordert eine Obergrenze für die Anzahl von Flüchtlingen, die pro Jahr aufgenommen werden können. Auch die Freien Wähler in Bayern und die AfD vertreten ähnliche Forderungen. Schließlich hängt Markus Söder an der Staatskanzlei ein Transparent "Verbindliche Obergrenze jetzt!" auf.

Pancarta

Der Streit mit Berlin zieht sich lange hin, bis in den Wahlkampf zur Landtagswahl. Diese wird von einem Zentralen Wahlvorstand in Berlin organisiert. Bei diesem zeigen Anton Hofreiter und Claudia Roth von den Grünen Markus Söder an, weil sein Transparent Wahlkampf für die CSU mache. Da es an der Staatskanzlei hängt, missbraucht es öffentlichen Besitz für Parteiinteressen.

Von der Neutralität im Wahlkampf

Im Wahlvorstand sitzen mehrere Mitglieder, die als Berater auf den Gehaltslisten der Grünen, der SPD und der Linken stehen. Von der CSU ist niemand dabei. Dieses nicht allzu neutrale Gremium entscheidet, dass Söder das Transparent abhängen muss, weil es nicht politisch neutral ist. Der weigert sich zunächst, will sich erst mit dem Ältestenrat des Landtags beraten, ob er dieser Forderung nachkommen soll, auch weil die Aussage des Transparents ja keineswegs einer einzigen politischen Partei zuordenbar ist. Öffentlich wetterte er gegen den Wahlvorstand, aber nach einer Woche hängt er das Transparent doch ab.

Der Wahlvorstand, der kein Gericht ist, bestraft Söder daraufhin wegen Ungehorsams mit dem Entzug seines passiven Wahlrechts für anderthalb Jahre, einem massiven Eingriff in seine Grundrechte. Dadurch verliert er sein Abgeordnetenmandat und kann somit nicht mehr Ministerpräsident sein. Renommierte Staatsrechtler äußern starke Zweifel daran, dass der Wahlvorstand zu solchen Maßnahmen befugt ist. Abgesehen davon zweifeln auch in Berlin viele Politiker die Verhältnismäßigkeit dieser Strafe an. Nichtdestotrotz wird sie vom Oberlandesgericht München und dem Bundesgerichtshof bestätigt.

Und weg war er

So wird der demokratisch gewählte Ministerpräsident von einem ideologisch aufgeladenen Gremium mit einem Handstreich abgesetzt. Wegen eines Transparents. Natürlich ist dessen Aussage nicht politisch neutral. Sie ist aber andererseits auch keiner politischen Partei klar zuzuordnen. Mehrere politische Parteien (am prominentesten JxCat, ERC und CUP) verlangen die Freiheit der politischen Gefangenen. Insofern kann man anzweifeln, ob die Entscheidung des Wahlvorstandes überhaupt gerechtfertigt ist. Inwiefern sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, ist gänzlich schleierhaft.

Kann man den Virus verhaften?

30. März 2020

Spanien hat einen Krisenstab, der die Maßnahmen zur Eindämmung des Covid-19-Virus koordiniert. Dieser Krisenstab informiert regelmäßig auf Pressekonferenzen über den aktuellen Stand. Soweit so normal. Wohl alle betroffenen Länder handhaben das auf ähnliche Weise.

Was anders ist als in anderen Ländern ist die Zusammensetzung und vor allem das Auftreten des Krisenstabes. Unter den fünf Sprechern, die stets vor die Presse treten, finden sich
PK

  • ein General der Streitkräfte,
  • ein General der Militärpolizei Guardia Civil und
  • ein Oberer der Policia Nacional.
Diese tragen nicht nur ihre gewaltigen Sammlungen an Bandschnallen zur Schau, sondern kommen auch sämtlich zu Wort. Schon rein optisch vermittelt das den Eindruck, man habe es mit einer Situation zu tun, zu deren Lösung vornehmlich bewaffnete Ordnungskräfte nötig wären. Will man den Virus ganz einfach verhaften oder erschießen?

Was wirklich wichtig ist

Zu den wichtigsten Informationen, die in der guten halben Stunde bekanntgegeben werden, haben diese drei Herren Sachverhalte folgenden Kalibers beizutragen: Die genaue Anzahl an Anzeigen, die die Polizei wegen Verstößen gegen die Ausgangsbeschränkungen erstattet hat; dass die Armee am Vortag statt der angekündigten gut 90 nun über 100 Altenheime desinfiziert hat; und so weiter und so fort. Das ist es also, was die Bevölkerung nach Meinung des Krisenstabes in dieser Situation am dringendsten erfahren muss. Die Fragen der Journalisten an die drei Uniformierten gehen überraschenderweise in ganz andere Richtungen: zum Beispiel, ob die Policia Nacional über die Videos Bescheid wisse, auf denen Gewalttaten von Polizisten während der überall stattfindenden Kontrollen dokumentiert seien.

Auch in Deutschland sitzt die Bundespolizei mit im Krisenstab. Ebenso ist die Polzei in den Stäben der Länder vertreten. Aber diese Gremien sind klar dominiert von Politik und Wissenschaft. Pressekonferenzen sehen nicht aus wie Lageberichte in Kriegszeiten. Das Bild des spanischen Stabes zeugt von einer unguten Dominanz des Militärischen in diesem Moment und im Staat allgemein.

Ein wichtiger Einsatz der Armee

Eine Randnotiz, die diese Beobachtung untermauert, ist der Einsatz eines Trupps Fallschirmjäger im Dorf Aldea en Cabo. Die Verteidigungsministerin hatte in einer telematischen Pressekonferenz erklärt, die Streitkräfte seien im ganzen Land im Einsatz, an allen Orten, von den größten bis zu den kleinsten. Ein aus Aldea en Cabo zugeschalteter Journalist merkte an, er habe davon noch nichts gesehen. Es dauerte keine drei Stunden, da fuhren die Fallschirmjäger vor, patroullierten einmal durchs Dorf und zogen wieder ab. Da scheint das öffentliche Bild viel wichtiger als eine tatsächliche Bekämpfung der Krise zu sein. Hoffentlich haben die Soldaten wenigstens nicht den Virus noch weiter durchs Land verteilt.

Ideologische Kampfgruppe JEC

7. März 2020

Teile der obersten spanischen Wahlkommission Junta Electoral Central (JEC) verstehen sich derzeit eher als Kampfgruppe gegen die katalanische Unabhängigkeitsbewegung denn als Hüter des Rechts und des Wählerwillens. Darauf bin ich bereits ausgiebig eingegangen. Nun ist im Falle zweier Mitglieder ans Licht gekommen, dass sie keineswegs über die nötige und auch rechtlich erforderliche Unabhängigkeit für ihr Amt verfügen.

Der Söldner Betancor

Selbstverständlich hat jeder Mensch seine eigene Meinung, die seine Urteile maßgeblich beeinflusst. Ebenso selbstverständlich ist es, dass politische Parteien für ein Amt wie die Mitgliedschaft in der JEC Personen vorschlagen, deren Meinung ihrer Ideologie nahesteht. Bei der Ausübung des Amtes sollten diese Personen sich dann jedoch der jeweiligen Partei in keinster Weise verpflichtet sehen.

Andrés Betancor Rodríguez, Professor für Verwaltungsrecht an der Universität Pompeu Fabra, war von Oktober 2017 bis Ende Juni 2019 auf Vorschlag der Partei Ciudadanos Mitglied der JEC. Wie nun eldiario.es berichtet, war er während dieser Zeit auch als bezahlter Berater derselben Partei tätig. Diese Tätigkeit war offenbar derart intensiv, dass er sogar über ein eigenes Büro in den Kongessbüros dieser politischen Formation verfügte. Bei den Anhörungen zu seiner Wahl kam dieser offensichtliche Interessenkonflikt mit keinem Wort zur Sprache.

Ein Ciudadano entscheidet über Ciudadanos-Anträge

Nun waren in Betancors Amtszeit ausgerechnet Ciudadanos besonders aktiv mit Beschwerden vor der Wahlkommission. Von der rechtswidrigen Nichtzulassung Carles Puigdemonts zur Europawahl bis zur Absetzung des katalanischen Präsidenten Quim Torra wegen des Aufhängens einer gelben Schleife -- all diese Entscheidungen kamen nach Beschwerden mit Unterstützung der Ciudadanos zustande. Dass das Aufhängen gelber Schleifen verboten sei, hatte natürlich ebenfalls die JEC entschieden.

Der von Ciudadanos bezahlte Betancor enthielt sich in keinem Fall wegen Befangenheit, sondern trat eher als Wortführer für diese Entscheidungen in Erscheinung. Juristisch stellt dies die gesamte Rechtmässigkeit der Urteile in Frage. Moralisch ist das in keinem Falle vertretbar, zumal für eine Partei, die sich eigentlich damit brüstet, gegen die Korruption vorgehen zu wollen. Komnsequenzen wird all das jedoch höchtswahrscheinlich mal wieder nicht haben; stattdessen hat Betancor im Januar 2019 eine Medaille für die Verteidigung der konstitutionellen Werte vom spanischen König erhalten...

Eine nicht erwähnenswerte Parteimitgliedschaft

Ein weiteres Mitglied der JEC, Carlos Vidal, Professor für Verfassungrecht an der Universidad Nacional de Educación a Distancia, wollte der Partido Popular vorschlagen. Leider war er Mitglied ebendieser Partei. Das hätte -- zu Recht -- natürlich schlecht ausgesehen. Also trat Vidal wenige Wochen vor der Kongressanhörung schnell aus der Partei aus. Auch diese offensichtliche Verbindung zu einer Partei kam in der Kongressanhörung mit keinem Wort zur Sprache. Auf Nachfrage der Presse erklärt er nun, er sei zum Zeitpunkt der Wahl doch nicht mehr PP-Mitglied gewesen, die vorherige Mitgliedschaft hält er für nicht erwähnenswert. Warum nur, mag man sich fragen, hielt er es dann überhaupt für nötig, vor seiner Kandidatur schnell auszutreten.

PPler entscheidet über PP-Anträge

Auch Vidal war an den oben genannten Entscheidungen beteiligt, auch sein PP war unter den Antragstellern. Ein weiteres Puzzleteil im rechtsnationalistischen Kartell quer durch Judikative, Parlament und Exekutive. Sicher ist auch er nun ein geeigneter Kandidat für ein Medaille für die Verteidigung konstitutioneller Werte.

Wenn meineidige Polizisten aufrechte anklagen

7. Februar 2020

In dieser Woche hatte in der Gerichtsverhandlung gegen die Führung der katalanischen Polizei ein anderer Polizist wieder seinen großen Auftritt: Daniel Baena, der leitende Ermittler der Guardia Civil in Sachen Unabhängigkeitsbewegung. Unabhängig und unvoreingenommen sollte so ein Ermittler natürlich sein. Wahrscheinlich gibt es bei der Guardia Civil Wenige, die bei diesem Ermittlungsgegenstand wirklich neutral wären. Aber viele könnten wohl zumindest den Schein wahren.

Baena jedoch hat immer wieder öffentlich gegen die Unabhängigkeitsbewegung gehetzt. Nicht unter seinem eigenen Namen. Als Tácito war er auf Twitter unterwegs. Da er dabei immer wieder Insider-Wissen der Guardia Civil ausplauderte und mit seinem Klarnamen-Profil interagierte, kam Journalisten des Publico der Verdacht, dass er Tácito sein könnte. Also riefen sie einafch mal bei ihm an um nachzufragen.

Freilich ist Baena Tácito

Ganz freimütig gab er dabei zunächst zu, der Verantwortliche des Twitter-Profils zu sein. Erst als die Journalisten fragen, ob das nicht im Widerspruch zu seiner Unvoreingenommenheit bei den Ermittlungen stehe, rudert er zurück. Zunächst erklärt er, er sei ja nicht alleine verantwortlich, um schließlich jede Autorschaft abzustreiten. Da war ihm im ersten Moment noch nicht bewußt, was es hieße, wenn seine private Hetztätigkeit öffentlich diskutiert würde.

Das hieße natürlich, dass er von den Ermittlungen abgezogen wird, und seine bisherigen Ergebnisse in ihrem juristischen Wert in Frage gestellt wären. Aber diesbezüglich hatte er Glück - er arbeitet ja in Spanien und ermittelt gegen Staatsfeinde. Da konnte schon im Prozeß vor dem Tribunal Suprem die Verteidigung den Wert seiner Aussage anfechten und eine Untersuchung verlangen. Baena sagte einfach unter Eid aus, er habe nichts mit dem Twitter-Konto zu tun. Entgegen seiner vorherigen öffentlichen Aussagen. Und das Gericht nahm das so hin und als wahr an.

Nun gegen Trapero

Jetzt läuft der zweite grosse Prozess, diesmal gegen die Führung der katalanischen Polizei von 2017. Wie schon berichtet müssen sich auch hier die Angeklagten gegen teils ansurde Vorwürfe des Staatsanwalts wehren. Mit von der Partie ist antürlich auch wieder Tácito Baena. Die Anklage braucht ihn fast gar nicht zu fragen. Minutenlang erzählt er immer wieder seine Theorien, die weit über das Gefragte hinausgehen, meist ohne jeden Bezug zu konkretem Beweismaterial. Das Gericht jedoch lässt ihn gewähren.

So stehen die Aussagen dieses Meineidigen erst einmal unwidersprochen im Raum und können wirken. Auch wegen dieser Wirkung wird der aufrechte Trapero wohl im Gefängnis enden. Publico hat übrigens nochmal nachgelegt, und die auffälligen Parallelen zwischen Tacito und Baena über die Jahre untersucht. Sehr interessant, nur für die spanische Justiz wahrscheinlich nicht.

Eine Wahlkommission, der die Wähler egal sind

31. Januar 2020

Die Grundlage jedes demokratischen Staates ist das Volk und sein Wille. Letzterer findet formal seinen Ausdruck vor allem in Wahlen. Entsprechend wichtig ist es, dass diese korrekt und gemäß der wohlbekannten Grundsätze ablaufen. Weil das nicht automatisch gewährleistet ist, hat jedes Land ein Gremium, das Wahlen organisiert und überwacht. In Spanien ist das die Junta Electoral Central (JEC). Oberstes Anliegen dieser Institution sollte es also sein, darauf zu achten, dass der Wille der Wähler -die oberste Autorität einer Demokratie- möglichst regelkonform und direkt zum Ausdruck kommt und umgesetzt wird.

Leider sieht sich die Mehrheit der spanischen JEC zuletzt eher als Kampfeinheit gegen die katalanische Unabhängigkeitsbewegung denn als Verteidiger des Wählerwillens. Das begann schon damit, dass sie ohne Rechtsgrundlage die Kandidatur von Carles Puigdemont für das Europaparlament nicht zulassen wollte. Das war so haarsträubend, dass die JEC umgehend von einem Gericht gezwungen wurde, ihre Entscheidung zu revidieren.

Gewählt und eingesperrt - Junqueras

Bereits an anderer Stelle bin ich ausführlich darauf eingegangen, wie Oriol Junqueras nach der Europawahl vom Tribunal Suprem daran gehindert wurde, sein Mandat im Europäischen Parlament anzutreten. Dabei spielte die JEC ausnahmsweise nur eine Nebenrolle. Allerdings beschied der Europäische Gerichtshof, dass die spanische Wahlgesetzgebung in einem Punkt hinfällig ist: Diese verlangt von Gewählten, zunächst einen Eid auf die Verfassung abzulegen, bevor ihr Mandat in Kraft tritt. Dass eine solche Formalität nicht wichtiger sein kann, als der Wille von Millionen Wählern musste der JEC erst von höchster Stelle erklärt werden.

Gewählt aber nicht anerkannt - Puigdemont und Comín

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs hat das Europaparlament umgehend auch Carles Puigdemont und Toni Comín als Abgeordnete anerkannt. Deren Sitze hatte die JEC ebenfalls als vakant gemeldet. Da sie in Spanien per Haftbefehl gesucht werden, waren sie ebenfalls nicht zum Schwören auf die Verfassung erschienen. Stattdessen leisteten sie ihren Eid im Exil in Belgien vor einem Notar. Dieser bezeugte den Eid, und ein entsprechendes Schreiben ging an die JEC - ein Vorgehen, das die JEC wenige Wochen zuvor bei mehreren Mitgliedern des Senats anstandslos akzeptiert hatte. Aber vor gewissen Gesetzen sind eben nicht alle gleich, zumindest nicht für die JEC.

Gewählt und abgesetzt - Torra

Gewählte nicht in ihr Amt zu lassen ist jedoch keineswegs die einzige Waffe der obersten Wahlhüter. Das musste der katalanische Präsident Torra erfahren. Er wurde in erster Instanz gerichtlich unter anderem zu einem Entzug des passiven Wahlrechts von anderthalb Jahren verurteilt - weil er auf Anordnung der JEC im Wahlkampf ein Plakat mit einer gelben Schleife nicht umgehend hatte abhängen lassen, sondern erst mit Verzögerung. In der Folge verlöre er sein momentanes Mandat im katalonischen Parlament und letzten Endes auch das Amt des Präsidenten.

Zur Verhältnismässigkeit dieses Urteils wäre natürlich auch einiges zu sagen. Entscheidend ist jedoch, dass es noch überhaupt nicht rechtskräftig ist. Torra hat Berufung dagegen eingelegt. Trotzdem hat die JEC ihm umgehend in Anwendung einer obskuren Regel das Mandat entzogen; mit sieben zu sechs Stimmen, wobei die Gegner vor allem anführten, dass man doch gar nicht das Recht zu diesem Schritt habe. Nichtsdestotrotz wurde die Absetzung ratifiziert. Nicht nur für den Verfassungsrechtler Javier Pérez Royo ein klarer Fall von Amtsmissbrauch und Rechtsbeugung.

Gewählt und wieder nicht anerkannt - Ponsatí

Im Rahmen des Brexits rückten nun Ende Januar aus allen verbleibenden EU-Ländern Abgeordnete nach, um die Plätze der britischen einzunehmen. Eine der Nachrückerinnen war Clara Ponsatí, Erziehungsministerin im Kabinett Puigdemont und derzeit im Exil in Schottland. Auch sie kam selbstverständlich nicht nach Madird, um sich vor dem Leisten des Eides auf die Verfassung verhaften zu lassen. Nach dem Bescheid des Europäischen Gerichtshofs im Fall Junqueras war eigentlich allen klar, dass sie trotzdem Abgeordnete war. Trotzdem meldete die JEC Ponsatís Sitz als vakant nach Brüssel. Dort ist man solche Marotten des spanischen Staats inzwischen gewöhnt, und nahm sie dennoch ohne Rücksprache als Abgeordnete ins Parlament auf. So sehr hat die JEC also schon ihren Ruf beschädigt, dass man über ihre Entscheidungen in Brüssel einfach hinweggeht. Aber auch von dieser neuerlichen Ohrfeige wird sie sich wohl kaum beirren lassen.

Trapero

20. Januar 2020

Nun steht also auch Josep Lluís Trapero, dereinst Major der Mossos d\'Esquadra, Chef der katalanischen Polizei, wegen der Geschehnisse um den ersten Oktober 2017 vor Gericht. Zwei Tage stellt er sich zu Beginn des Verfahrens an der Audiencia Nacional den Fragen des Staatsanwalts. Dieser hält zunächst an seiner Anklage der Rebellion fest - ein mehr als absurdes Vorgehen. Schließlich wurden ja selbst die Hauptverantwortlichen der Geschehnisse um das Referendum nicht wegen Rebellion verurteilt, sondern wegen deren kleinen Bruders, des Aufruhrs. An welcher Rebellion dann Trapero beteiligt gewesen sein soll, das erschließt sich wohl nur dem Ankläger Miguel Ángel Carballo selbst.

Der Staatsanwalt fabuliert

Frappierend ist etwas, das sich schon im monatelangen Verfahren vor dem Tribunal Suprem beobachten ließ: lang und breit wird von der Anklage beklagt, was alles am 20. September und am ersten Oktober passiert ist. Was genau die Angeklagten taten und welche konkrete Schuld sie an den Vorkommnissen haben, darüber wird jedoch kaum gesprochen; dass sie für so ziemlich alles verantwortlich sind, davon wird scheinbar einfach ausgegangen - von in dubio pro reo keine Spur.

So muss sich auch Trapero für jeden einzelnen Funkspruch eines Agenten verantworten, der mal schlecht über die Guardia Civil spricht oder sich über mangelnde Unterstützung beklagt. Aus ein paar solcher Funksprüche unter den Meldungen von über 2200 Wahllokalen schließt der Staatsanwalt auf eine systematische Verweigerung der Kooperation und gewollte Inaktivität, ja gar auf eine systematische Überwachung der Einsaätze von Guardia Civil und Policia Nacional. Wenn an einem Ort die Bürger nach der Auszählung die Urne den Polizisten übergaben, vermutet er, dass wohl die hunderten von den Mossos beschlagnehmten Urnen alle so in die deren Hände kamen. Ohne jede faktische Grundlage äußert er diesen Verdacht, ja diese Anklage.

Da hilft es auch nicht, wenn Trapero einmal das Offensichtliche sagt: angenommen es hätte auch nur einen Befehl oder eine Anweisung zur Nichtaktivität oder Kooperation mit den Bürgern gegeben, der an die tausenden Beamten ergangen wäre - es kann keinen Zweifel geben, dass dieser zu einer Anzeige durch zahlreiche Beamte geführt hätte. Die Mossos sind ja keineswegs ein Heer von Unabhängigkeitsbefürwortern, sodern mit vielen ehemaligen Guardias Civils und Policias Nacionals besetzt. Außerdem haben die Ankläger auch verzweifelt alle Kommunikation der Mossos nach etwas Derartigem durchsucht.

Die Guardia Civil kann kein Katalanisch

Das Gravierendste worauf sie dabei stießen ist eine eMail in der steht "s\'ha de celebrar el referendum." Das übersetzte die Guardia Civil falsch mit "das Referendum muss durchgeführt werden." Inwiefern das falsch ist, wurde schon am Tribunal Suprem ausgiebig durchdikutiert und belegt. Aber Carballo zieht auch diesen Quatsch wieder aus der Schublade. Einen Satz in einer einzigen eMail. Weil er schlicht nicht viel mehr in der Hand hat.

Wunderbar, sollte man denken. Dann wird Trapero sicher freigesprochen. Diese Mann, der ohne Zweifel eine der schwierigsten Rollen hatte. Untergebener der Regierung, die das Referendum betrieb, und zugleich der spanischen Justiz unterstellt, die dieses mit allen Mitteln verhindern wollte. Es ist bewundernswert, wie er in einer derart schwierigen Situation eine vernünftige Linie fand und sehr ruhig durchzog. Weder rebellierte er gegen Spanien, noch produzierte er ähnlich traurige Schlagzeilen, wie Guardia Civil und Policia Nacional.

Aber wer keine Schlagzeilen wie "The Shame of Europe" und "Bloody Sunday" produziert hat, der hat in der Sicht der rechtsnationalistischen Elite Spaniens nicht genug getan. Wer nicht zu 100% mit ihnen ist ist gegen sie. Und so wird wohl auch Trapero, dieser stille, tragische Held ins Gefängnis müssen und nie mehr seinen Beruf ausüben können. Spanien beraubt sich eines der besten seiner Polizisten, nur um seine Rachegelüste auszuleben.

Marchena und das Unvorhersehbare

10. Januar 2020

Nun hat also der Europäísche Gerichtshof entschieden, dass der katalanische Politiker Oriol Junqueras mit seiner Wahl zum Abgeordneten des Europäischen Parlaments automatisch zu ebendem wurde: einem Abgeordneten. Das in Spanien von Abgeordneten geforderte Ritual des feierlichen Schwurs auf die Verfassung ist belang- und bedeutungslos, da es in einer Demokratie nicht wichtiger als der Wählerwille sein kann. Als Parlamentarier genoss er zwangsläufig Immunität. Junqueras jedoch steckte zum Zeitpunkt der Wahl gerade in einem Verfahren vor dem Tribunal Suprem. Der Vorsitzende des Senats, Manuel Marchena hatte keine Lust, sich von dieser Immunität ins Handwerk pfuschen zu lassen. Schließlich war eine Verurteilung für die rechtsnationlistischen Kreise, denen er angehört, eine Frage von nationaler Wichtigkeit.

Er ließ Junqueras also einfach nicht zum Schwören aus der Untersuchungshaft und behauptete, damit sei der kein Abgeordneter und habe dementsprechend keine Immunität. Das war nicht korrekt, und das hat Marchena jetzt schriftlich bekommen. So was Dummes aber auch, das konnte er doch nicht wissen, sagt er nun. Zukünftig will er sich auch auf jeden Fall an das halten, was der Europäische Gerichtshof jetzt beschieden hat. Im Fall von Oriol Junqueras ist es aber leider zu spät dafür. Da hat er sein Urteil bereits gefällt, und daran kann er jetzt nichts mehr ändern. Voraussehen konnte er das nicht, da es sich ja um eine ganz neue Auslegung handelt.

Die neuen, unerwarteten Auslegungen!

Armer Richter Marchena - da wird er einfach mit einer ganz neuen Rechtsauslegung überrumpelt. Natürlich kann in so einer Situation niemand von ihm verlangen, dass er diese auf vorher Geschehenes anwendet. Erstaunlich ist dann nur, dass derselbe Marchena dies im Falle von Junqueras und den anderen Verurteilten ganz anders sieht. Dass ein Referendum ein Aufruhr ist, das ist ohne Zweifel eine neue Rechtsauslegung. Auch wenn die Polizei mit passivem Widerstand beim Verhindern der Abstimmung behindert wurde. Jordi Cuixart und Jordi Sànchez sind gar schlicht wegen der Organisation einer Demonstration zu Aufrührern geworden.

Diese Interpretation Marchenas ist auch unter Rechtsexperten sehr umstritten und war für die Verurteilten sicher in keinster Weise vorauszusehen. Nun müsste Marchena doch eigentlich seine eigene Argumentation auch hier anwenden: jetzt, nachdem er seine Einschätzung des Geschehens veröffentlicht hat, muss ohne Zweifel in Zukunft jeder Referendumsveranstalter damit rechnen, als Aufrührer 15 Jahre im Gefängis zu landen. Junqueras und Co. jedoch sind umgehend freizulassen und freizusprechen. Zum Zeitpunkt des Geschehens war ja für keinen von ihnen und auch sonst für niemanden abzusehen, welcher Verbrechen sie sich schuldig machen würden - außer für einen kleinen Kreis am Tribunal Suprem und in der Polizei vielleicht, der ja schon zwei Jahre vor dem Referendum begann, eine Anklage wegen der mittelalterlichen Tatbestände Rebellion und Aufruhr vorzubereiten.

Junqueras nach Brüssel!

Was auch immer dem Scharfrichter Marchena an dieser Argumentation nicht gefällt, das sollte dieser im Sinne der Kohärenz der Rechtsprechung doch auch an seiner eigenen kritisieren. Die einzig logische Konsequenz wäre also, Junqueras nach Brüssel ins Europäische Parlament fahren zu lassen.

Auch zum Thema:

Häufig gestellte Fragen zu den politischen Gefangenen in Spanien.

Über diesen Blog

Seit vielen Jahren verfolge ich das Geschehen um die katalanische Unabhängigkeitsbewegung. Zunächst rein als Beobachter, aber in dem Maße wie die von mir wahrgenommene Unterdrückung durch den spanischen Zentralstaat zunahm, wurde auch ich nach und nach aktiver, in Wort und Tat. Von besonderer Bedeutung für den Rest Europas scheint mir, wie skrupellos und teilweise offen rechtswidrig gerade die Justiz hierbei vorgeht. Dieser Blog gibt meine persönlichen Ansicht zu verschiedenen Ereignissen aus diesem Themenfeld wieder.